Veranstaltung an der Abteilung MünsterAmok! Was geschieht mit mir und was geschieht um mich herum?

Amok! Was geschieht mit mir und was geschieht um mich herum?

182 Studierende der Abteilungen Münster und Gelsenkirchen sowie Professorinnen/Professoren, haupt- und nebenamtliche Dozentinnen und Dozenten beider Abteilungen nahmen an der von der Abteilungsleiterin Frau Schoppmeier-Pauli eröffneten Veranstaltung in der Aula des Infogebäudes des LAFP in Münster teil.

Die Veranstaltung stand unter dem Titel: AMOK! Was geschieht mit mir und was geschieht um mich herum? Ziel der Vormittagsveranstaltung war es, den Studierenden des HS 2 sowie des HS 3 die Möglichkeit zu bieten, aktuell erworbenes Wissen im Bereich von Amoklagen mit einer Echtlage von vor 16 Jahren abzugleichen.

Dies auch vor dem Hintergrund, dass diese Lage besondere Bedeutung für die Polizeien in der Bundesrepublik Deutschland in der Bewältigung von Amoklagen erfahren hat.

Plenum
Funkspruch
v.l.n.r Frau Dr. Kurbacher, Herr PHK Duphorn, Frau Schoppmeier-Pauli

Am 26. April 2002 lief der 19-jährige Robert Steinhäuser Amok. Am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt erschoss er elf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und sogar einen Polizisten. Anschließend beging er Suizid. Der damals am Gutenberggymnasium einsatzführende Dienstgruppenleiter der PI Erfurt, Polizeihauptkommissar Duphorn, wurde vom örtlichen Facharbeitskreis Einsatzlehre eingeladen, um aus seiner Sicht die Geschehnisse dieses Tages darzustellen. Was dann kam, ließ keinen Anwesenden unaufmerksam werden und berührte viele der Anwesenden nachhaltig. Gespannt verfolgten alle die teilweise dramatischen Darstellungen von PHK Duphorn über den Ablauf des Tages am 29.04.2002, der mit dem abgebildeten Funkspruch der Leitzentrale für ihn und seine Dienstgruppe begann und u.a. für einen seiner Kollegen tödlich enden sollte.

Herr Duphorn stellte im Detail die Geschehnisse der ersten halben Stunde nach der Einsatzübernahme dar und konnte eindrucksvoll und nachdrücklich deutlich machen, dass diese halbe Stunde des Amoklaufes von Robert Steinhäuser sein Leben, das Leben seiner Kolleginnen und Kollegen, deren Familien und vieler anderer in Erfurt verändert hat. Er ging auf die Annäherungs-/Vorbereitungsphase nach der Einsatzübernahme ein, schilderte wie nachrückende Kräfte ihre Anfahrt zum Tatort unterbrachen, um sich die zusätzlichen Schutzwesten anzuziehen als die Meldungen über zahlreiche Schüsse im O-Ton über den Funk gingen. Er stellte das Phänomen dar, das nach dem Eintreffen der Polizei am Gymnasium keiner der flüchtenden Schüler und Lehrer mit der Polizei sprechen wollte und sie Mühe hatten überhaupt einen Ansprechpartner zu finden. Er schilderte nicht ohne Emotionen, dass unmittelbar nach seinem Eintreffen mit Kräften seiner Dienstgruppe vor Ort gezielte Schüsse auf sie abgegeben wurden. Sie haben Opfer in unmittelbarer Nähe zu ihrem eigenen Standort liegen sehen, konnte sich jedoch nur schlecht oder gar nicht annähern, ohne nicht gezielt weiter beschossen zu werden.

Wir hörten von Polizeibeamtinnen und -beamten, die unter Inkaufnahme eines hohen Risikos für sich selbst in das Gebäude gelangen konnten, um den Täter an seiner weiteren Tatausführung zu hindern. Was letztlich auch gelang, da Steinhäuser durch einen Lehrer in einem Raum eingeschlossen werden konnte; dort hat er sich dann selbst das Leben genommen.

Wir haben viel Selbstkritisches gehört, sowohl in Bezug auf möglicherweise vorhandene eigene Unzulänglichkeiten aber auch im Hinblick auf strukturelle und organisatorische sowie Führungsmängel. Wir haben von Rettern gehört, die sich nicht selbst schützen konnten und starben. Wir haben von einer Nachbereitungsphase der Dienstgruppe gehört, in der stundenlang nur geschwiegen wurde. Und dennoch haben wir einen Polizeibeamten erlebt, der nach vorne schaut, der auch mit Humor vorgetragen hat, wo es passte. Alle haben gemerkt, dass AMOK nicht länger ein Thema von vielen ist, was an der Fachhochschule gelehrt und gelernt wird. Viele haben Darstellungen aus den Lehrveranstaltungen mit der Lage von Erfurt intensiv abgeglichen und Inhalte hinterfragt.

Dazu gab es im zweiten Teil der Veranstaltung noch Raum, weil Fragen an Fachleute auf dem Podium gestellt werden konnten. PHK Duphorn, Prof. Dr. Kurbacher (Ethik), EPHK Dr. Kalus (Psychologie), EPHK Howest (Spezialeinheiten, Fortbildung) standen den Fragenden Rede und vor allem Antwort. Und so wurden Fragen u.a. zu Funk, Schutz-/Überziehwesten, Bewaffnung, taktischem Vorgehen, besonderen ethischen und psychologischen Problemstellungen u.a. in Bezug auf den möglicherweise final durchzuführenden Schusswaffengebrauch aus dem Plenum gestellt und umfänglich beantwortet.

Im Nachgang haben wir viele positive Rückmeldungen der Studierenden erhalten. Viele waren nicht nur sehr beeindruckt von dem Geschehen, der Dramatik und von Herrn Duphorn selbst, sondern haben die Notwendigkeit und Richtigkeit erkannt, sich mit den Lehrinhalten der unterschiedlichen Fächer intensiv auseinander zu setzen. Auch hier hat sich in Bezug auf das Thema Amok! Was geschieht mit mir und was geschieht um mich herum, etwas bewegt.