„Lassen Sie uns die Demokratie bewahren!“Studierende besuchen Verkehrsgerichtstag 2024
Für 16 Studierende des HSPV-Wahlmoduls „Verkehrssicherheitsarbeit“ aus Münster war es ein besonderes Ereignis, am bedeutendsten und über die Grenzen Deutschlands hinaus anerkannten und international beachteten Kongress im Dienst des Verkehrsrechts in Goslar Ende Januar dieses Jahres teilzunehmen.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Dr. Stephan Harbarth, hielt den Plenarvortrag anlässlich der Eröffnung des 62. Verkehrsgerichtstags in der Kaiserpfalz. Habarth zeigte sich besorgt über den Zustand der Gesellschaft. Studien würden einen Rückgang der Zufriedenheit mit dem Zustand der Demokratie in Deutschland belegen. Zur diesjährigen Veranstaltung mit über 1.700 Teilnehmenden aus 13 Ländern nutzte er seine Rede für einen Appell, sich für die Werte des Grundgesetzes starkzumachen und richtete einem klaren Aufruf gegen den aufstrebenden Rechtspopulismus. „Das Grundgesetz hat sich als einzigartiger Glücksfall in der Freiheitsgeschichte unseres Landes erwiesen“, erklärte der höchste Richter Deutschlands anlässlich des nahenden 75-jährigen Bestehens der Verfassung und betonte, dass Bürger für den Erhalt des Grundgesetzes eintreten müssten. Die beste Verfassung könne keinen Erfolg haben, ohne Menschen, die sich für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit engagierten, sagte Harbarth. Die Verfassung habe eine gute Ordnung für Deutschland etabliert und biete sie noch heute. Mit Blick auf die Diktatur der Nationalsozialisten stehe das Grundgesetz zudem für den Gedanken des „Nie wieder“.
Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstages, Prof. Dr. Ansgar Staudinger. Zwar gelte in Deutschland das Rechtsfahrgebot, „aber Mann und Frau verkehrt nicht mit Rechtsextremisten“, sagte der Jurist der Universität Bielefeld. Bei einer extremen Bewegung nach rechts in der Gesellschaft dürfe man nicht weggucken. Alle Bürger müssten darauf achten, „dass nicht bald die Falschen am Steuer sitzen“.
In acht Arbeitskreisen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gerichtstags aktuelle Themen aus dem Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht, unter anderem Fragen der Einziehung von Täterfahrzeugen bei strafbaren Trunkenheitsfahrten sowie zur vom Bundesjustizministerium geplante Entkriminalisierung der Unfallflucht und zum Flensburger 'Punktehandel'.
Als Referent der HSPV NRW im Arbeitskreis I verwies Prof. Dr. Bijan Nowrousian auf die derzeitige Ungleichbehandlung einerseits zwischen Personen, die ohne Fahrerlaubnis ein Kfz führen oder mit einem nicht versicherten Gefährt unterwegs sind sowie Teilnehmende an verbotenen Kfz-Rennen, deren Fahrzeuge jeweils unter den gesetzlichen Voraussetzungen eingezogen werden können und andererseits auf stark alkoholisierte Fahrer, die eine Einziehung des bei der Tat benutzten Fahrzeugs bislang nicht fürchten müssen. Als gemeingefährliche Straftaten sind Alkohol-Drogendelikte im Straßenverkehr jedoch keine Bagatelldelikte. Vielmehr weisen sie eine hohe Unfallrelevanz mit erheblichen Personenschäden auf. Deshalb schlugen die Experten letztlich vor, das aktuelle Gesetz zu ändern. Demnach soll einem Rauschfahrer das Fahrzeug künftig entzogen werden können, wenn er Wiederholungstäter ist, d. h. in den letzten fünf Jahren vor der Tat schon einmal wegen einer Trunkenheitsfahrt rechtskräftig verurteilt worden ist. Eine Einziehung soll auch möglich sein, wenn das Fahrzeug nicht im Eigentum des Täters steht (vgl. § 74a StGB).
Der Verkehrsgerichtstag hat sich bereits mehrfach – zuletzt im Jahre 2018 – mit der Verkehrsunfallflucht befasst. In der die aktuellen Entkriminalisierungsdebatte stand 2024 die Frage auf dem Prüfstand, ob (wenigstens) bei Unfällen mit Sachschäden künftig die Androhung eines Bußgelds genügen könne, um Fluchten wirkungsvoll zu verhindern. Peter Schlanstein, Lehrender an der HSPV in Münster, erläuterte in der Diskussion, dass es sich bei der Verkehrsunfallflucht nach § 142 StGB nicht um ein Kavaliersdelikt handele, für das eine Abstufung zur bloßen Ordnungswidrigkeit in Betracht kommen sollte. Denn würde die – nur bei Vorsatz bestrafte – Verkehrsunfallflucht bei Sachschäden als eine Ordnungswidrigkeit künftig mit einem Bußgeldsatz von z. B. 300 € bis 500 € bewehrt sein, dürften sich gewiss nicht weniger Unfallverursacher als bisher fragen, welches Risiko ihnen nach etwa einem Parkrempler mit rund 2.000 € Fremdschaden, der rasch erreicht ist, droht bzw. größer erscheint: Melden oder Flüchten? Schon heute bleiben viele Unfallopfer auf Sachschäden sitzen, da bundesweit jährlich bei mehr als jedem fünften Verkehrsunfall der Verursacher sich rechtswidrig aus der Verantwortung stiehlt. Es liegt auf der Hand, dass sich im Falle einer Entkriminalisierung der Verkehrsunfallflucht noch mehr Personen ihren Pflichten entziehen würden. Nach intensiven Diskussionen aus den Perspektiven verschiedener Fachdisziplinen war der Arbeitskreis mit großer Mehrheit der Ansicht, dass auch nach Unfällen mit Sachschäden das unerlaubte Entfernen vom Unfallort weiterhin strafbar bleiben soll. Eine Abstufung solcher Fälle zur Ordnungswidrigkeit wurde abgelehnt. Allerdings soll es zu Erleichterungen kommen, indem etwa eine neutrale Meldestelle eingerichtet werde. Auch soll es möglich sein, einen Unfall bis zu 24 Stunden nach dem Geschehen straffrei melden zu können. Bislang gibt es durch die Gerichte nur in seltensten Fällen eine Strafreduzierung.
Außerdem fordert der Verkehrsgerichtstag schärfere Sanktionen gegen Fahrer und Unternehmen, die den sogenannten Punktehandel anbieten. In den letzten Jahren ist ein Trend erkennbar, durch gezielte Behördentäuschungen sich Sanktionen im Bereich von Verkehrsordnungswidrigkeiten zu entziehen. Dies untergräbt die Funktion des Flensburger Fahreignungsregisters, wiederholt mit gravierenden Verkehrsverfehlungen aufgetretene Kraftfahrer ggf. von der Teilnahme am Straßenverkehr ausschließen zu können und gefährdet damit die Sicherheit des Straßenverkehrs. Bisher können es Autofahrer wegen einer bestehenden Gesetzeslücke ungestraft umgehen, Punkte für erhebliche Verstöße im Straßenverkehr zu erhalten. Diese Lücke soll jetzt geschlossen werden.
Die Politik hat nun zu entscheiden, ob die Vorschläge des Gerichtstags umgesetzt werden. Die Quote ist relativ hoch, da in den vergangenen zehn Jahren rund drei Viertel der Vorschläge der Expertinnen und Experten des Goslarer Kongresses in die Tat umgesetzt worden sind.
Für die Studierenden der HSPV war es eine neue Erfahrung, hautnah zu erleben, wie Fachwissen auf juristischer Ebene mit Praxisbezug diskutiert wurde und überdies bei der Entscheidungsfindung des gewählten Arbeitskreises mitwirken zu dürfen.